Kocher warnt vor "Flurschaden" durch zu schnellen Ausstieg © APA - Austria Presse Agentur

Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) warnt vor wirtschaftlichen Folgen durch die von Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) anvisierte rasche Verringerung der Abhängigkeit von russischem Gas. "Ein möglicherweise zu schneller Ausstieg darf keinen Flurschaden für die Wirtschaft erzeugen", sagte Kocher dem "Standard" (Dienstagsausgabe). Alle EU-Staaten haben sich darauf verständigt, bis 2027 aus russischem Gas auszusteigen.

Die Ukraine hat angekündigt, die über ihr Territorium führenden Gas-Pipelines nach dem Auslaufen des Gastransitvertrags Anfang 2025 zu unterbrechen. Im Dezember 2023 stammten 98 Prozent der Gasimporte Österreichs aus Russland, im Jänner 2024 waren es 97 Prozent und im Februar waren es 87 Prozent. "Wir teilen die Zielsetzung, aus russischem Gas auszusteigen. Wir müssen aber darauf achten, das in der Praxis so darzustellen, dass es zu keiner Gas-Mangellage kommt", so der Wirtschaftsminister.

Gewessler hat ihr Mitte Februar angekündigtes Gesetzespaket rund um die Diversifizierungsverpflichtung für Gasversorger vor mehreren Wochen an den Regierungspartner ÖVP geschickt. Die Gesetzesvorschläge der Energieministerin umfassen Novellen des Gaswirtschaftsgesetzes, des Gasdiversifizierungsgesetzes und des Energielenkungsgesetzes. Beginnend mit dem Gasjahr 2024/25 ist laut Entwurf jeder Gasversorger in Österreich verpflichtet, einen steigenden Anteil von nicht-russischem Erdgas nachzuweisen. Im ersten Jahr muss dieser Anteil 40 Prozent der gesamten an Kunden gelieferten Menge betragen. "Nicht alle Anbieter haben gesagt, dass sie leicht aus russischem Gas aussteigen können. Das Ziel, auszusteigen, ist unumstritten, die Frage ist, wie man möglichst gut hinkommt", sagte Kocher.

Kritik an den Aussagen des Wirtschaftsministers übten neben dem grünen Regierungspartner auch FPÖ und SPÖ. "Energieministerin Leonore Gewessler hat einen konkreten Entwurf bereits vor über einem Monat an den Koalitionspartner geschickt. Bisher haben wir aber bis auf holprige mediale Äußerungen leider keine Antwort von der ÖVP erhalten", so Grünen-Energiesprecher Lukas Hammer in einer Aussendung. Die Regierung habe zwei Jahre Zeit gehabt, "einen Plan für einen raschen Ausstieg aus russischem Gas vorzulegen. In diesen zwei Jahren ist nichts passiert", kritisierte SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll. ÖVP und Grüne hätten es verabsäumt "Rahmenbedingungen für den Gastransport von West nach Ost zu schaffen und jahrelang wurde substanzielle Verfahrensbeschleunigung gerade für Energiewendeprojekte blockiert", sagte FPÖ-Energiesprecher Axel Kassegger.

ÖVP-Energiesprecherin Tanja Graf lehnt das vom grünen Koalitionspartner vorgelegte Gesetzespaket zur Diversifizierungsverpflichtung für Gasversorger ab. Die Industriellenvereinigung (IV) drängt die Politik, mit der Ukraine Verhandlungen über die Fortsetzung von Gaslieferungen aus Russland über den Jahreswechsel hinaus aufzunehmen. Mitte März hatten die WKÖ und IV für ein Konsortium plädiert, um via ukrainischen Transitpipelines doch noch russisches Gas nach Österreich zu bringen.