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Nachhaltigkeit im Gepäck

NEW BUSINESS - NR. 12, DEZEMBER 2022
Nur bei 15 Prozent der Unternehmen sind CO2-Emissionen bei Geschäftsreisen ein Thema. © Adobe Stock/malp

Die Geschäftsreise ist zurück. Denn viele können oder wollen auf den persönlichen Kontakt vor Ort nicht verzichten. Doch wie kommt man halbwegs nachhaltig an sein Ziel? Es gibt Lösungen.

Eine Besprechung in London, eine Messe in Barcelona, eine Inbetriebnahme in Singapur oder eine Wartung in Uppsala – die Gründe für geschäftliche Reisen sind vielfältig. Zumindest waren sie das bis vor drei Jahren. Dann hat Corona unserer beruflichen Reiselust einen Riegel vorgeschoben. Jetzt, da die internationalen Lufträume wieder weitgehend offen sind, macht uns das Thema Klimawandel wieder einen Strich durch unsere Reisepläne. Und wir fragen uns zu Recht: Welche Reisen sind in Zeiten von digitalen Möglichkeiten wirklich notwendig und noch vertretbar. Und wenn ja: Wie kommen wir so klimaschonend wie möglich an unser Ziel?

Wenn einer eine Reise tut …
Mittlerweile ist die Reiseindustrie wieder aufgewacht. Der aktuell veröffentlichte „International Mobility Report 2022“ von AON gibt Einblicke in die jüngsten Entwicklungen im Rahmen von internationalen Geschäftsreisen und Mobilität. Nach der Wiederaufnahme der Reisetätigkeit findet allerdings eine Neubewertung von internationalen Reisen seitens der Unternehmen statt. Leider steht dabei das Thema CO2-Emissionen mit nur 15 Prozent an letzter Stelle.

Die größten Herausforderungen stellen für 75 Prozent die allgemeine Sicherheit und für 60 Prozent das Wohlbefinden der Mitarbeitenden dar. Auch die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit entsendeten Arbeitnehmern und deren Anleitung sowie die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften wurden im Report häufig als entscheidende Gründe angegeben, ob eine Entsendung bzw. Dienstreise umgesetzt wird. 

Dass ein Wandel dringend erforderlich ist, belegt auch Professor Dr. Felix Kempf, Dekan Tourismus & Hospitality der IST-Hochschule für Management in Düsseldorf, mit eindrücklichen Zahlen: „Jeder Einzelne von uns verbraucht zu viel CO2“, betont er, und je reicher eine Gesellschaft sei, desto rapider steige der Verbrauch. Während dieser in Indien pro Person und Jahr bei durchschnittlich 1.900 Tonnen liegt und der weltweite Durchschnitt 4.900 Tonnen beträgt, verbrauchen deutsche Bürger 11.600 Tonnen.

Um die Klimaziele zu erreichen, dürfen pro Kopf und Jahr nur 2,5 Tonnen CO2 verbraucht werden. Die Kosten für diesen Missbrauch tragen die nächsten Generationen, denn „die BWL-Denke“ so Kempf, sorgt dafür, dass Gewinne privatisiert und Verluste – in diesem Fall also die tatsächlichen Kosten des CO2-Verbrauchs – der Allgemeinheit angelastet werden.

In jedem Unternehmen müssten „künftig zwei Geschichten geschrieben werden“, fordert Kempf: eine zum Firmenerfolg und die zweite über den Nachhaltigkeitserfolg. Davon sind deutsche Firmen laut des eWorkshops „Carbon Footprint“ des Travel Industry Club (TIC) noch weit entfernt: Nur drei von zehn Unternehmen haben ein Nachhaltigkeitsprogramm, das Corporate Travel beinhaltet. „Bis dato sind kaum Tools und Maßnahmen in den Unternehmen im Einsatz, um die Geschäftsreise klimaneutraler zu gestalten“, betont Thomas Drexler, Managing Partner der Travel Consulting Group. 

Mehr als ein Hoffnungsschimmer ist die Initiative VDR NxT des Verbands Deutsches Reisemanagement mit vier Stoßrichtungen. Erstens müssen Standards entwickelt werden, um den CO2-Footprint im Corporate Travel eines Unternehmens mithilfe belastbarer Daten zu ermitteln. Zweitens muss das Thema nachhaltige Unternehmensmobilität nicht nur zur Chefsache avancieren, sondern auch im Bewusstsein und Wissen jedes Einzelnen im Unternehmen verankert werden.

Der dritte Stepp ist, die heute schon verfügbaren Produkte und Lösungen besser zu nutzen: Ohne entsprechende Angebote von der Buchung bis zur Abrechnung, von der An- bis zur Abreise können Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden. Letztlich muss auch die Frage geklärt werden, ob die Reiserichtlinie überhaupt noch ein geeignetes Instrument ist oder ob nicht ein Mobilitätsbudget dazu beitragen kann, Geschäftsreisen grüner werden zu lassen. 

Drexler gibt den Rat „sich dem Thema nicht überkomplex zu nähern“, sondern mit einfachen Ansätzen. So müsse stets die Frage geklärt werden, ob Dienstreisen überhaupt durchgeführt werden müssen. Falls doch, müssen Geschäftsreisen mit niedrigen Emissionen gefördert werden – zum Beispiel Reisen mit der Bahn. In Österreich versucht man, mit dem Klimaticket die Nutzung des öffentlichen Verkehrs zu steigern.

Seit dem Start vor einem Jahr haben sich mehr als 200.000 Menschen das österreichweit gültige Ticket gekauft. Die ÖBB versucht, Geschäftsreisende mit ein paar Annehmlichkeiten in ihre Züge zu locken. Die Abteile der Business­class werden zum komplett ausgestatteten Büro mit Wlan, Service und Infotainment. Und auch an den Bahnhöfen kann man in den Lounges mit kostenlosem Internetzugang und Stromanschluss die Wartezeit zur produktiven Arbeitszeit machen. Weil nicht jeder Ort mit der Bahn zu erreichen ist, bieten die ÖBB außerdem Carsharing an, um die letzten Meter zum Geschäftstermin hinter sich zu bringen.

Jetzt müssten nur mehr die Kapazitäten der Züge aufgestockt und vor allem Verspätungen im internationalen Zugverkehr reduziert werden, dann würde Bahnfahren noch weiter an Attraktivität gewinnen.

Wie im Flug
Nicht jedes Ziel kann man mit dem Zug erreichen. Flugreisen stehen allerdings besonders in der Kritik, verursachen sie doch im Vergleich den größten ökologischen Fußabdruck. Vor allem kurze Strecken, die genauso gut mit der Bahn absolviert werden könnten, stehen unter Beobachtung. Frankreich hat 2021 sämtliche Kurzstreckenflüge innerhalb des Landes verboten, sofern eine alternative Zugverbindung von höchstens zweieinhalb Stunden existiert. Anschlussflüge und internationale Verbindungen sind von dem Verbot ausgenommen. Auf eine andere Lösung setzen Fluglinien, die mit nachhaltigem Flugkraftstoff experimentieren.

Von einem Elektro- oder Wasserstoffantrieb für große Flugzeuge ist die Luftfahrt noch weit entfernt. Kernproblem dabei ist die geringere Energiedichte von Batterien – und die Speicherung großer Mengen an Wasserstoff ist technologisch noch extrem aufwendig. Anders ist das mit Sustainable Aviation Fuel (SAF). Er kann problemlos in Flugzeugen eingesetzt werden und ist eine echte Alternative zu fossilem Kerosin. Ausgangsmaterialien für Biokraftstoffe können zum Beispiel fetthaltige und cellulosehaltige Pflanzen oder auch Bioreste sein. Für die sogenannten PtL-Kraftstoffe – kurz für „Power to Liquid“ – wird aus Wasserstoff und Kohlendioxid ein Synthesegas erstellt. Aus dem lässt sich dann in verschiedenen Verfahren Kerosin gewinnen.

Wichtig ist, dass für die Produktion von SAF nur Rohstoffe verwendet werden, die keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion darstellen, einen niedrigen Trinkwasserverbrauch haben oder auch kein Ökosystem durch zusätzliche Landwirtschaftsflächen zerstören. Gelingt das, haben SAF ein großes Potenzial, die CO2-Emissionen des Luftverkehrs deutlich zu reduzieren.

Um ihre Klimaschutzziele zu erreichen, hat etwa die Lufthansa Group mit dem Energie- und Chemiekonzern OMV eine Absichtserklärung über die Lieferung von mehr als 800.000 Tonnen nachhaltigen Treibstoffs für die kommenden sieben Jahre unterzeichnet. Bereits seit März 2022 liefert die OMV am Flughafen Wien SAF an die Austrian Airlines als Teil der Lufthansa Group. 

Bis man völlig entspannt umweltfreundlich fliegen kann, bietet die Lufthansa Kompensationsmöglichkeiten an. Fluggäste können die CO2-Emissionen ihrer Flugreise etwa direkt an Bord ausgleichen. Das Angebot ist bereits weltweit auf allen Lufthansa-Flügen mit Internetkonnektivität nutzbar. Fluggäste können das Angebot kostenfrei über das Internet an Bord auf ihren mobilen Endgeräten nutzen.

Um Kompensation geht es auch beim FinTech Pliant. Werden Reisekosten wie Flugbuchungen oder Taxifahrten mit der virtuellen oder physischen Firmenkreditkarte von Pliant bezahlt, wird die CO2-Belastung automatisch durch Investitionen in zertifizierte Nachhaltigkeitsprojekte, die den Kohlenstoffausstoß verringern, kompensiert. „Wir wollten für Unternehmen eine einfache Möglichkeit schaffen, die durch Geschäftsreisen verursachte Klimabelastung auf eine sinnvolle Weise zu reduzieren. Für die Firma entsteht dadurch kein zusätzlicher Aufwand. Das ist wichtig, weil ihnen sonst häufig die Zeit für solche Bemühungen fehlt“, erklärt Malte Rau, CEO und Co-Founder von Pliant, die Intention hinter Pliant Earth.

Doch wie lässt sich die Umsetzung des Features ohne zusätzliche Kosten für den Kunden ermöglichen? „Wir arbeiten bei Pliant mit einem Cashback-System. Jedes Mal, wenn eine Pliant-Karte benutzt wird, zahlt der Händler eine gewisse Gebühr an uns. Einen Teil dieser Gebühr geben wir in Form von Cashbacks an unsere Kunden. Aus diesen Cashbacks finanzieren wir auch die CO2-Kompensation“, erklärt der CEO.

Wird also bei einer Fluggesellschaft ein Flug via Firmenkreditkarte von Pliant gebucht und gezahlt, überweist ebendiese Airline eine gewisse Transaktionsgebühr an das Berliner FinTech. Von einem Anteil der Gebühr wird dann ein Kompensationszertifikat gekauft. „Der Kreis schließt sich damit: Im Endeffekt trägt die Fluggesellschaft als Verursacher die Kosten für den CO2-Ausgleich ihrer und unserer Kunden“, so Rau.

Übernachten mit kleinem Fußabdruck
Die meisten Geschäftsreisen dauern nur einen Tag, wer allerdings übernachten muss, sollte hier auch auf die Nachhaltigkeit achten. Rund 21 Prozent der Emissionen einer durchschnittlichen (Geschäfts-)Reise machen nämlich die Hotels aus. Daher passen immer mehr Hotels ihren Betrieb an umweltfreundliche Maßstäbe an. Sie messen etwa die entstehenden CO2-Emissionen je Übernachtung und setzen auf Sonnen- und Windenergie oder wählen mittlerweile bewusst regionale und saisonale Speisen.

Genau diese Hotels werden in einer Nachhaltigkeits-Datenbank der Hotelplattform HRS zusammengefasst. Denn Nachhaltigkeit ist immer häufiger ein wesentlicher Entscheidungsfaktor dafür, wo Millionen von Geschäftsreisenden in den nächsten Jahren übernachten werden. Das Bestreben vieler Unternehmen, besser früher als später Klimaneutralität zu erreichen, hat auch Auswirkungen auf die Managed-Travel-Programme.

„Dutzende von Unternehmen haben in ihren Hotelausschreibungen bereits angegeben, dass Energie-, Wasser- und Abfallkennzahlen berücksichtigt werden müssen. Die Notwendigkeit der Automatisierung zur effizienten Bereitstellung solcher Daten von Hotels an Entscheider im Procurement und an Reisende ist in der heutigen Landschaft der Corporate Travel von entscheidender Bedeutung“, sagt Tobias Ragge, CEO von HRS.

Siemens ist ein Beispiel für einen solchen Schritt. Als erstes globales Unternehmen wird Siemens die „Green Stay Initiative“ (GSI) verpflichtend einführen und bei seinen Partnerhotels Daten über deren Umweltbilanz anfordern. Gemeinsam mit HRS hat Siemens für die Datenbank definierte und standardisierte Kriterien entwickelt, die die Klimabilanz einzelner Hotels abbilden und diese so erstmals vergleichbar machen. Bisher gab es keinen global einheitlichen Standard, um Hotels in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit zu vergleichen.

Mit der „Green Stay Initiative“ stellen Hotelanbieter künftig Daten zu ihrem täglichen Energie- und Wasserverbrauch sowie ihrer täglichen Abfallproduktion pro belegtem Zimmer zur Verfügung. Anhand dieser und weiterer Kriterien wird der CO2-Fußabdruck einzelner Hotels berechnet. Als nachhaltig bewertete Hotels werden dann im internen Buchungstool für Geschäftsreisen hervorgehoben und vorgeschlagen.

Damit will die GSI einen neuen Marktstandard für nachhaltige Geschäftsreisen schaffen. Vor der Pandemie wurden bei Siemens jährlich mehr als zwei Millionen Übernachtungen im Rahmen von Geschäftsreisen gebucht. „Mit der HRS Green Stay Initiative haben wir einen weltweit einheitlichen Standard, um den ökologischen Fußabdruck von Hotels zu bestimmen und zu vergleichen“, sagt Thorsten Eicke, Head of Global Mobility Services der Siemens AG.

„Mit der Umsetzung können wir endlich eine Lücke schließen, denn für unsere anderen Lieferanten hatten wir mit dem Carbon Web Assessment bereits einen vergleichbaren Standard. Jetzt können wir unser Hotelvolumen so steuern, dass es uns dabei unterstützt, nachhaltiger zu werden. Die Technologie hat sich bewährt, und es ist nun an der Zeit, sie für unsere kurz- und langfristigen Nachhaltigkeitsziele einzusetzen.“

Bereits im kommenden Jahr will Siemens seine Partnerhotels nach definierten Nachhaltigkeitskriterien auswählen. Die Hotels werden jährlich aufgefordert, Daten über die CO2-Bilanz ihrer einzelnen Immobilien zu liefern. Bis zu 80 Kriterien der Green Stay Initiative werden verwendet, um den CO2-Ausstoß zu messen sowie die Nachhaltigkeitspolitik, das Energiemanagement oder die Biodiversität von Hotels zu bewerten. Sie beziehen Ausstattungsmerkmale der Hotels wie Schwimmbäder, Klimaanlagen oder einen Spa-Bereich sowie weitere Einflussfaktoren wie Ressourceneffizienz, Recycling, Shuttle-Services und Restaurants mit ein. Siemens wird diese Kriterien auf Grundlage seiner eigenen Nachhaltigkeitsvorgaben und der Standards für den CO2-Fußabdruck in den einzelnen Ländern anpassen. Indem Siemens solche Lieferanten bevorzugt, die diese Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, will das Unternehmen wiederum mehr Hotels dazu motivieren, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren.

Fazit
Die Lust am (Geschäfts-)Reisen ist den wenigsten vergangen. Wer sich nicht allein mit dem Blick in die Ferne zufriedengeben will oder kann, hat dennoch verschiedene Möglichkeiten seinen Fußabdruck zu minimieren: bessere Planung, der Umstieg auf die Bahn oder wenn es doch mal das Flugzeug sein muss, dann könnte der Fußabdruck vielleicht mit einer Ausgleichszahlung für ein grünes Projekt etwas kleiner werden. Und die Wahl eines Hotels der Green Stay Initiative könnte uns vielleicht einen besseren Schlaf garantieren. (BS)


INFO-BOX
Was ist SAF?
Um den CO2-Ausstoß in der Luftfahrt zu reduzieren, setzt der Luftverkehr unter anderem auf nachhaltig erzeugte, alternative Flugkraftstoffe, sog. Sustainable Aviation Fuels, kurz SAF. Diese können zum Beispiel aus Pflanzen, Fetten oder Abfällen gewonnen werden oder mithilfe von erneuerbaren Energien aus Wasser und Luft hergestellt werden. Bei alternativen Flugkraftstoffen werden mehrere Generationen unterschieden: Die erste Generation setzte auf pflanzliche Öle, zu deren Gewinnung häufig Pflanzen genutzt wurden, die auch als Lebensmittel dienen. Die zweite und heute am weitesten verbreitete Generation setzt auf Biomasse aus Abfällen. Die dritte und vierte Generation gehen noch einen Schritt weiter: Hier werden mithilfe regenerativer Energie sowie Kohlendioxid und Wasser alternative Flugkraftstoffe produziert. Aber: Noch sind all diese Kraftstoffe weder in relevanten Mengen noch zu marktüblichen Preisen verfügbar. Alternative Kraftstoffe sind um ein Vielfaches teurer als herkömmliches ­Kerosin und damit noch nicht wettbewerbsfähig. Die zurzeit getankten Mengen entstammen zumeist staatlich geförderten Projekten. Es fehlt eine Produktion im industriellen Maßstab.
(Quelle: Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft)